Modern Walking

Mit dem Niedergang der New Economy gerieten Massage und Fitnessprogramme am Arbeitsplatz in Verruf. Jetzt entdecken Unternehmen das Thema Work-Life-Balance neu.

Beim Autozulieferer Brose ist die Stechuhr in der Verwaltung abgeschafft. Die Arbeitszeit der Angestellten wird nicht mehr erfasst. Denn den klassischen Arbeitsalltag von 9 bis 17 Uhr gibt es hier nicht mehr: Weil man ständig mit internationalen Partnern in 19 Ländern zusammenarbeitet, sitzt mancher spätabends noch in seinem Büro, ein anderer schon frühmorgens.

Bei Brose hat man mit der so genannten "Neuen Arbeitswelt" auf diesen Wandel reagiert: Überstunden werden nicht bezahlt. Stattdessen gibt es eine Leistungsprämie von bis zu 30 Prozent. Die Kantinen haben ganztägig geöffnet, es gibt ein Fitness-Studio und eine Sauna, die auch die Angehörigen der Angestellten benutzen dürfen. Sogar ein Masseur wurde eingestellt.

Solche Annehmlichkeiten, die mit der New Economy in die Arbeitswelt Einzug gehalten haben, finden sich in immer mehr Unternehmen. Mit "Work-Life-Balance"-Programmen wollen die Firmen ihre Mitarbeiter bei Laune und Leistung halten.

"Es ist ein Plus, wenn ich meinen Mitarbeitern mit Dienstleistungen in der Firma den Alltag erleichtere", sagt Matthias Pietzcker von der Unternehmungsberatung Quickborner Team (QT). "Aber natürlich wollen die Unternehmen damit auch erreichen, dass sich die Leute besser auf die Arbeit konzentrieren. Deshalb muss ich darauf achten, dass die Balance zwischen Arbeit und Privatleben nicht aus dem Gleichgewicht gerät."

Gute Leute finden und zu binden wird schwieriger

Dass diese Balance überhaupt im Blickfeld vieler Firmen steht, dürfte vor allem daran liegen, dass sich die Arbeitsprozesse gewandelt haben. Der Mitarbeiter sei nicht mehr bloßer Befehlsempfänger, sondern "Mitunternehmer", sagt Peter Kern vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation. "Er organisiert sich weitestgehend selbst, bestimmt seinen Tagesablauf und seine Arbeitszeit."

Wo der Acht-Stunden-Tag passé ist, muss nicht nur die Arbeit neu definiert, sondern auch die Grenze zwischen Privat- und Berufsleben neu gezogen werden. Dazu kommen die demografischen Veränderungen: "Allein auf Grund der geringen Geburtenrate wird der qualifizierte Nachwuchs zunehmend knapp. Es wird deshalb für die Unternehmen immer schwieriger, gute Leute zu finden und zu binden", sagt der Arbeitspsychologe Michael Kastner.

Brose etwa verlangt von seinen Mitarbeitern viel Flexibilität und hat seine Standorte in Städten wie Wuppertal oder Rastatt, die beim karrierebewussten Führungsnachwuchs nicht gerade als hip gelten. Ein attraktives Arbeitsumfeld ist deshalb wichtig.

Kleine Oasen im Büroalltag

Das sieht auch das Beratungsunternehmen Accenture im hessischen Kronberg so. Bei der Planung des "Campus Kronberg" habe man von Beginn an überlegt, wie man das Arbeiten dort angenehmer machen könne, sagt Oliver Vellage, Facility-Manager bei Accenture. Das Personal findet im Büroalltag kleine Oasen: Wer mag, lässt sich sein Mittagessen in den Picknickkorb packen, schnappt sich eine Decke und nimmt den Lunch im Grünen statt in der Kantine ein.

Daneben gibt es die "Huddle Rooms", Rückzugsorte mit Sofas und Sesseln, die nicht nur der Entspannung, sondern auch zum Nachdenken oder Konferieren dienen. "Der Campus verfügt über Umkleiden und Duschen für Mitarbeiter, die in der Mittagspause joggen oder Rad fahren wollen, außerdem haben wir gemeinsam mit Krankenkassen Spazier- und Wanderwege speziell für Schreibtischarbeiter eingerichtet", sagt Vellage.

Gesundheit als wichtigen ökonomischen Faktor

Den Trend zum Sport sieht auch QT-Geschäftsführer Pietzcker. "Ob bei Eon, Unilever oder dem neuen Verlagsgebäude des ,Spiegel?: Wir planen heute kaum noch ein Bürohaus ohne sportive Komponente."

Damit sollen Mitarbeiter nicht nur motiviert werden, es geht auch um deren Gesundheit und damit um einen wichtigen ökonomischen Faktor: Krankheitsbedingte Fehlstunden oder chronische Erkrankungen verursachen schließlich jedes Jahr Milliardenausfälle.

So achtet man bei Accenture auch auf eine ausgewogene Ernährung des Personals. Im Mitarbeiterrestaurant Sale e Pepe wird bewusst vitaminreich und fettarm gekocht - und selbst gutbürgerliche Klassiker wie die Frankfurter Grüne Sauce werden "entschärft": "Dafür nehmen wir Sauerrahm statt Mayonnaise", sagt Vellage.

Aufklärung vor Gefahr der Selbstausbeutung

Fraunhofer-Arbeitsexperte Kern glaubt, dass solche Maßnahmen künftig ein wesentlicher Teil des unternehmerischen Denkens sein müssen: "Der klassische Nine-to-Five-Job hatte auch Vorteile, er schützte den Einzelnen vor der Gefahr der Selbstausbeutung." Nachwuchskräfte, die ganz versessen auf den Erfolg seien, scherten sich jedoch wenig darum, wenn ihr Arbeitstag regelmäßig zwölf Stunden und mehr habe.

Wo der Mitarbeiter selbst über seinen Arbeitsablauf bestimme, bestehe das Risiko der "Entgrenzung", sagt Kern. "Gesundheitsförderung gehört deshalb ebenso zu den Aufgaben eines Unternehmens wie die gesundheitliche Aufklärung." Schließlich fordere der Markt leistungsfähige Spitzenkräfte - und genau diese Leistungsfähigkeit müsse erhalten werden. Das gelte nicht zuletzt im Hinblick auf die älter werdende Gesellschaft. "Gerade weil es immer mehr ältere Arbeitnehmer geben wird, muss das Wohlbefinden in der Firmenplanung eine Rolle spielen", glaubt Kern.

Scheidungsrate und gutes Arbeitsklima korrelieren

Ein allzu gutes Arbeitsklima kann allerdings auch Nachteile haben. "US-Studien haben gezeigt, dass die Scheidungsrate nach oben schnellt, wenn sich das Büro zu sehr zum privaten Raum und damit zur Ersatzfamilie entwickelt", sagt Arbeitspsychologe Kastner.

Im Campus Kronberg von Accenture hat man deshalb bewusst auf die Einrichtung eines eigenen Sportstudios verzichtet. Es sollte gar nicht erst der Eindruck entstehen, dass das abendliche Workout mit dem Chef der Karriereplanung dienlich sein könnte.


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