Die Kraft der inneren Bilder

Wer Menschen zu einem gesünderen Lebensstil verleiten will, sollte nicht auf Fakten oder Abschreckung setzen - sondern an angenehme Erinnerungsbilder anknüpfen.

Es ist paradox: In den Buchhandlungen stehen meterweise Gesundheitsratgeber, Zeitschriften erhöhen beständig die Anzahl ihrer medizinischen Seiten, und schon frühmorgens werden in TV und Radio die neuesten Medizintipps gesendet. Es interessiert offenbar die Bürger zu erfahren, wie man gesund bleibt. Aber leider setzen sie das Wissen nicht um.

So zeigte beispielsweise jüngst eine Studie der Felix-Burda-Stiftung: ?Würde die Normalbevölkerung die einfachen Tipps ? mehr bewegen, gesünder essen ? beherzigen, könnten in Deutschland langfristig bis zu 90 Prozent aller Diabetesfälle vermieden werden.? Stattdessen steigt die Zahl der Diabetes-Neuerkrankungen, ebenso die Verbreitung von Fettsucht oder Osteoporose ? alles Krankheiten, deren Entstehung und Verlauf wir mit unserer Lebensweise beeinflussen können. Die Menschen legen ihre krankmachenden Gewohnheiten, etwa das Rauchen, wider besseres Wissen nicht ab.

Warum fruchten all die wohlgemeinten Gesundheitskampagnen nicht? Es liegt an der Art der Darstellung, meint Ernst Pöppel, Professor für medizinische Psychologie an der Universität München. Fakten allein genügen nicht. "Nur wenn wir das bildhafte oder episodische Gedächtnis erreichen, können wir Menschen zu einer Verhaltensänderung bewegen", sagt Pöppel.

Fakten und Bilder werden im Gehirn in unterschiedlichen Langzeitspeichern abgelegt. Wenn sie zum Beispiel nach ihrem Wissen über die Bretagne gefragt werden, dann fällt ihnen vielleicht ein, dass dieser Landstrich am Atlantik liegt, dass seine Bewohner früher von der Fischerei lebten und dass dort mancherorts prähistorische Steinkreise zu finden sind. Diese Informationen stammen aus Ihrem Faktengedächtnis, dass Ihnen willentlich zugänglich ist.

Ganz anders aber geht das Erinnern vonstatten, wenn Sie etwa ins Hallenbad gehen und die Sinneseindrücke im Wasser bei Ihnen spontan eine Szene aus dem letzten Sommer wachrufen: Sie durchleben noch einmal, wie Sie im Frankreichurlaub in das eiskalte Meer eingetaucht sind. Sie hören die Möwen kreischen, Sie sehen das wunderbare Farbspiel aus grünem Meer und blauem Himmel, Sie riechen die salzige Luft. Sie fühlen, wie glücklich Sie waren. Im Gehirn läuft bei dieser Art des Erinnerns ein regelrechtes Sinnes- und Gefühlskino. Weil Bilder dabei die wichtigsten Eindrücke sind - 50 Prozent aller sinnesverarbeitenden Nervenzellen in der Großhirnrinde sind mit den visuellen Informationen beschäftigt -, nennt man dieses Erinnerungssystem das bildhafte oder episodische Gedächtnis.

Der Umfang dieses Bild- und Szenenspeichers ist überraschend klein. Auf das ganze Leben bezogen, kommen im aktiven Abruf (also nicht im passiven Wiedererkennen) höchstens ein paar Hundert Bilder zustande. Dies ermittelten wir in unserer Forschungsgruppe aus Innsbruck und München unter der Leitung von Ernst Pöppel, indem wir Probanden baten, ihre Erinnerungsbilder aufzulisten. Grenzt man die Frage ein, indem man gezielt nur nach den medizinischen Bildern fragt, kamen sogar nur 14,4 Bilder zum Vorschein. Es scheinen also bloß ganz ausgewählte Situationen Einlass in das episodische Gedächtnis zu finden.

Was dort verankert wird, ist zu 80 Prozent von starken Emotionen begleitet, und es besitzt meist eine persönliche Wichtigkeit. Erst wenn etwas Gesehenes oder selbst Erlebtes uns berührt, findet es Zugang ins bildhafte Gedächtnis - aber dann auf Anhieb. Das Faktengedächtnis hingegen braucht die Wiederholung: Damit die Vokabeln sitzen, müssen wir sie wieder und wieder aufsagen.

Wenn wir also alltäglich mit vielen Beispielen und Belegen darüber aufgeklärt werden, warum wir uns mehr bewegen, nicht rauchen und weniger trinken sollten, so bleibt sicherlich einiges davon im Faktengedächtnis hängen - doch es findet keinen Einlass in das bildhafte Archiv der persönlichen Erinnerungen. All das Gesundheitswissen erscheint uns dann abstrakt, als habe es wenig mit uns selbst zu tun. Will man aus diesem Faktenwissen bildhafte und ichnahe Erinnerungen machen, so sollte man Gefühle spielen lassen. Sie haben einen gewichtigen Einfluss beim Verankern von Gedächtnisbildern, vor allem dann, wenn sie biografisch mit der eigenen Person verknüpft werden.

Tatsächlich werden in der Medizinaufklärung nicht nur Fakten, sondern auch gefühlsbeladene Bilder benutzt - doch fast immer sind diese abschreckender Natur. Sicher rufen Fotos und Geschichten von einer Teerlunge, einem Raucherbein oder einer Erblindung durch Diabetes Emotionen hervor, nämlich Ängste. Wie meine Untersuchungen gezeigt haben, handelten 28 Prozent der von den Probanden erinnerten Bilder aus der Medizin von ausschließlich negativen Gefühlen, und in zwei von drei Bildern gab es eine Vermischung von positiven und negativen Gefühlen. Beschrieben wurden Empfindungen wie Mulmigsein, Angst, Mitleid, Hilflosigkeit, aber auch Entsetzen, Gruseln, Erschrecken und Ekel.

Eben diese angstbesetzten Erinnerungsbilder, all die negativen persönlichen Erlebnisse mit Krankheiten und Krankenhäusern werden beim Betrachten der aufklärerischen Fotos von Teerlungen und ähnlichen Schrecklichkeiten wachgerufen. Und in der Tat: Was einen so erschreckt, das meidet man geflissentlich - doch man meidet nicht etwa die Zigaretten, vor denen gewarnt wird, sondern man meidet die Mahnung selbst. Die typische Reaktion ist Abwehr, etwa nach dem Motto: "Auf diesen Schrecken muss ich mir erst mal eine anstecken."

Eine medizinische Botschaft muss nicht abschreckend sein, um sich Zugang zum episodischen Gedächtnis zu verschaffen. Erfolgversprechender ist, an ein positives Erinnerungsbild anzuknüpfen. Man kann diese Strategie auch gezielt zum "Selbstcoaching" einsetzen. Ein Beispiel:

Sie haben Diabetes und Ihr Arzt sagt, Sie sollen sich mehr bewegen, gesünder essen und nicht mehr rauchen. "Nur noch Körner essen nach Plan?", denken Sie spontan und sind geneigt, die ärztlichen Ratschläge trotzig in den Wind zu schlagen. Aber dann besinnen Sie sich. Sie gehen in sich und suchen nach bildhaften Erinnerungen von Situationen, in denen Sie gesund gelebt und sich gut dabei gefühlt haben. Vielleicht war es ein Urlaub in besagter Bretagne, Sie machten lange Strandwanderungen mit einem Freund, und abends gab es mediterrane Küche bei Kerzenschein. Das ist doch eine sehr schöne Vorstellung von Sport und gesunder Ernährung. Lassen Sie dieses Bild in sich leben und führen Sie sich vor Augen, dass der Arzt genau das mit seinen Empfehlungen meint. Auf diese Weise festigen Sie einen gesünderen Verhaltensstil und verankern ihn in Ihrem Bild von sich selbst.

(erschienen in Psychologie Heute, April 2006)

 


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