Jeder zehnte Arbeitnehmer leidet heute an einer Depression oder einem Burn-out-Syndrom, so das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart. Um ganze 69 Prozent haben die Krankschreibungen aufgrund von Depressionen, Verhaltensstörungen und Ängsten von 1997 bis 2004 zugenommen - und das, obwohl die Krankenstände in Deutschland eigentlich kontinuierlich sinken. Mit acht Prozent der Krankentage stehen psychische Probleme mittlerweile an vierter Stelle, nach Muskel- und Skeletterkrankungen, Atemwegserkrankungen und Verletzungen. Und sie führen mit durchschnittlich 29,5 Krankheitstagen zu den am längsten dauernden Auszeiten: Nur Menschen mit bösartigen Tumoren fallen am Arbeitsplatz länger aus.
Die Arbeitswelt löst heute bei vielen Menschen starke Ängste und Unsicherheiten aus. Seit Deutschland in einer Wirtschaftskrise steckt, steigt der Druck enorm. Fast täglich werden Arbeitsplätze wegrationalisiert, und wer seinen Job los ist, weiß, dass es nicht so einfach sein wird, eine neue Anstellung zu finden. Gut 65 Prozent der Männer und 47 Prozent der Frauen bezeichnen die Angst um den Job als größten Stressauslöser in ihrem Leben. Der Beschäftigte hat das Gefühl, sich keinen Fehler mehr erlauben zu dürfen, von Ruhepausen ganz zu schweigen.
Dass es einen klaren Zusammenhang zwischen arbeitsbedingtem Stress und der Entstehung psychischer Krankheiten gibt, haben zahlreiche Studien bewiesen. Die Weltgesundheitsbehörde urteilte schon im Jahr 2000: "Stress, bedingt durch unrealistische Arbeitsanforderungen, sozial isolierende Arbeitsbedingungen, mangelhafte Mitgestaltungsmöglichkeiten, zunehmenden Zeit- und Verantwortungsdruck, ist die Hauptursache psychischer Störungen."
Für die Unternehmen sind die psychischen Erkrankungen der Mitarbeiter inzwischen zu einem riesigen Kostenfaktor geworden. Nach Forschungen der Fachhochschule Köln beläuft sich der gesamtwirtschaftliche Schaden aufgrund psychischer Krankheiten in der Arbeitswelt in Deutschland mittlerweile auf 50 Milliarden Euro. Umso erstaunlicher ist es, dass sich die meisten deutschen Unternehmen bislang kaum mit diesem Thema auseinander setzen. In vielen Unternehmen besteht noch ein großer Aufklärungsbedarf, wie mit psychisch erkrankten Mitarbeitern umgegangen werden sollte.
"Es gibt immer noch diese Vorstellung, dass psychisch Erkrankte nur Drückeberger oder Simulanten sind", erklärt Marlies Hommelsen von der Familien-Selbsthilfe Psychiatrie e.V. "Körperliche Vorboten wie Rückenschmerzen oder Kopfschmerzen werden noch akzeptiert, aber danach heißt es dann oft: 'Der soll sich mal zusammenreißen'".
(aus Psychologie Heute, März 2007)