von Mark Hübner-Weinhold
ABENDBLATT: Die Zunahme stressbedingter Erkrankungen wird häufig auf eine fehlende "Work-Life-Balance" zurückgeführt. Warum greift dieser Begriff Ihrer Meinung nach zu kurz?
MICHAEL MERKS: Weil damit wortwörtlich nur der Ausgleich zwischen Arbeit und Leben bezeichnet wird. Doch Arbeit ist ein Teil unseres Lebens, in den meisten Fällen sogar ein zwangsläufig wichtiger. Ich vermute stark, dass der Begriff eingeschränkt aus wirtschaftlicher Sicht geprägt ist, frei nach dem Motto: Bring dein Leben in Ordnung, damit du uns deine volle Arbeitskraft zur Verfügung stellen kannst. Viele Menschen sind sich aber gar nicht bewusst, was ihr Leben als Ganzes ausmacht.
ABENDBLATT: Welche Aspekte gehören Ihrer Meinung nach dazu?
MERKS: Acht Lebensbereiche sind wichtig. Gesundheit, Partner und Familie, emotionale Stärke, Beruf und Karriere, Finanzen, soziale Beziehungen, Spiritualität sowie Beiträge zur Gemeinschaft. Diese Bereiche müssen jeweils auf einem zufriedenstellenden Niveau sein. Denn wenn wir nur in einem der Lebensbereiche unzufrieden sind, dann hat das meist negative Auswirkungen auf unsere Lebensbalance.
ABENDBLATT: Wenn ich also dauerhaft negativen Stress bei der Arbeit empfinde und abends völlig ausgebrannt und genervt nach Hause komme, dann setzt das eine Kettenreaktion in Gang?
MERKS: Richtig. Sie sehen dann zum Beispiel Ihre Kinder kaum noch und haben deshalb ein schlechtes Gewissen. Möchten Sie, dass Ihre Kinder irgendwann sagen: "Du hast ja nie Zeit für mich?" Mit Ihrer Partnerin haben Sie Stress, weil Sie kaum gemeinsame Zeit haben, über Dinge zu reden, oder weil Sie selbst in Passivität verfallen und vor dem Fernseher sitzen, die Partnerin aber mit der Erziehungsarbeit und dem Haushalt allein lassen. Oftmals fehlen Ihnen dann auch die Zeit und der Antrieb, Freunde zu treffen oder Sport zu treiben. Viele Berufstätige, die unter Stress leiden, ernähren sich auch falsch. Kurzum: Die Lebensbereiche sind vollkommen aus der Balance - und das hat über kurz oder lang Folgen für die berufliche Leistungsfähigkeit.
ABENDBLATT: Wer nur für seinen Job lebt, muss also scheitern?
MERKS: Wenn es beruflich gut läuft, können Menschen aus ihrem Job sicher auch viel Kraft ziehen. Aber das Leben ist mehr als ein Berufsleben. Wer in den Ruhestand geht oder seinen Job verliert und jahrzehntelang nur in sein Berufsleben investiert hat, steht oft vor dem Nichts. Höhere Lebensqualität, ein erfülltes Leben - das bedeutet, dass wir das Niveau unserer einzelnen Lebensbereiche schrittweise anheben und das Zusammenspiel der Bereiche miteinander verbessern und daraus Energie tanken.
ABENDBLATT: Nun leiden viele Berufstätige unter der spürbaren Arbeitsverdichtung. Bleibt da wirklich noch die Zeit, sich um das Ausbalancieren seiner Lebensbereiche zu kümmern?
MERKS: Jeder ist selbst für die Gestaltung seines eigenen Lebens
verantwortlich. Wer sich einseitig in Richtung Berufsleben orientiert oder
drängen lässt, sollte bedenken: Die Unternehmen fordern mit Recht, dass sich
ihre Beschäftigten leistungsfähig halten. Und dazu gehört nun einmal eine
Ausgewogenheit zwischen allen Lebensbereichen. Das Seltsame ist: Insbesondere
Manager nehmen sich oft wochenlang Zeit, um Etats, Projekte oder neue Strategien
für das Unternehmen zu planen. Für das Wichtigste, was sie besitzen, ihr eigenes
Leben, nehmen sie sich diese Zeit aber nicht. Dabei wäre das die entscheidende
Investition - auch für bessere Leistungen im Beruf.
Zur
Person:
Michael Merks (53) gründete 1991 in Hamburg die Inszena New
Consulting Group, ein Beratungsunternehmen für Veränderungsmanagement und
Coaching. Inzwischen beschäftigt er sechs Angestellte und arbeitet mit 31
Partnern bundesweit im Netzwerk zusammen. Merks ist in Düsseldorf aufgewachsen
und studierte in Köln Betriebswirtschaft und Psychologie. Danach war er 14 Jahre
lang in verschiedenen Führungspositionen in der Konsumgüterindustrie ( Procter
& Gamble, Reemtsma ) im In- und Ausland tätig. Seine Schwerpunkte waren
Marketing, Vertrieb, Personalentwicklung, Coaching und interne Beratung. Als
Coach von Führungskräften, Selbstständigen und Sportlern verbindet Merks seine
beruflichen Erfahrungen mit aktuellen Erkenntnissen der Psychologie und
angrenzender Disziplinen. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit liegt dabei auf dem
Thema "Erfüllt leben". Ein wichtiges Anliegen ist ihm das Coaching von
Jugendlichen in Sportvereinen und künftig auch in Feriencamps. Merks ist in
zweiter Ehe verheiratet, hat zwei Töchter und einen Sohn und lebt mit seiner
Familie in Aumühle.
(erschienen im Hamburger Abendblatt, 10. Februar 2007)